LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Juli 2008 – L 14 B 568/08 AS ER, Sanktion wegen Maßnahmeabbruch erfordert Prüfung der Zumutbarkeit der Maßnahme

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kommt es für die Frage, inwieweit die Weigerung, eine in einer Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme fortzuführen, eine Absenkung der Regelleistungen nach § 31 SGB II rechtfertigt, durchaus darauf an, ob die Maßnahme zumutbar war. Es kann dahinstehen, ob dem Wortlaut der Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c) SGB II eindeutig zu entnehmen ist, ob sich das Adjektiv „zumutbare“ am Beginn der Aufzählung auch auf die „sonstigen Maßnahmen“ bezieht. Entscheidend ist, dass – auch wenn es nicht im Gesetz stünde – die Teilnahme an unzumutbaren Maßnahmen nicht verlangt werden kann. Soweit das Sozialgericht im Anschluss an Sonnhoff in JurisPK-SGB II, 2. Aufl., § 31 Rdnr. 89/90 darauf verweist, dass es gegen Treu und Glauben verstoße, erst eine Eingliederungsvereinbarung mit einer vereinbarten Maßnahme zu unterschreiben und dann geltend zu machen, die Maßnahme sei unzumutbar, berücksichtigt es nicht genügend, dass die Eingliederungsvereinbarung nach dem SGB II zwar formell als Vertrag ausgestaltet ist, es sich in der Sache aber nicht um einen Vertrag handelt in dem Sinne, dass sich zwei gleichberechtigte Partner gegenüber stehen, sondern lediglich um eine neue „moderne“ Form hoheitlichen Verwaltungshandelns (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 15 Rdnr. 10). Dementsprechend besteht kein Anlass, die gerichtliche Inhaltskontrolle gegenüber einer durch Verwaltungsakt zugewiesenen Maßnahme zu lockern. Entsprechend wird in der Kommentarliteratur denn auch die Auffassung vertreten, dass im Rahmen einer Sanktion nach § 31 SGB II wegen Abbruchs der mit Eingliederungsvereinbarung vereinbarten Maßnahme die Zumutbarkeit dieser Maßnahme geprüft werden müsse (Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 31 Rdnr. 46, Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, K § 31 Rdnr. 46). Dem folgt der erkennende Senat.
Gegen die Zumutbarkeit der in der zwischen den Beteiligten geschlossenen Eingliederungsvereinbarung vorgesehenen Maßnahme (Teilnahme an dem Maßnahmeprojekt „Coachingcenter für Hilfebedürftige mit Einkommen“) bestehen erhebliche Bedenken. Einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ist die Teilnahme nur an solchen Maßnahmen zuzumuten, die geeignet sind, seine Eingliederung in das Erwerbsleben zu befördern. Die Maßnahmen müssen Kenntnisse vermitteln, deren Erwerb für den Arbeitsuchenden in seiner konkreten Situation sinnvoll ist (Rixen in Spellbrink/Eicher, SGB II, 2. Aufl., § 10 Rdnr. 138). Der Antragsteller hat aber vorgetragen, bisher hätten im Rahmen des „Maßnahmeprojekts“ lediglich zwei allgemeine Gespräche stattgefunden. Diesen Vortrag hat der Antragsgegner unwidersprochen hingenommen, ebenso wie den weiteren Vortrag des Antragstellers, er sei vom Maßnahmeträger aufgefordert worden, sich doch selbst Arbeit und Unterlagen mitzubringen, damit er sich während der zu erfüllenden Zeitvorgabe von 15 Stunden in der Woche sinnvoll beschäftigen könne. Der Senat muss deshalb im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von der – nicht bestrittenen – Richtigkeit dieser Angaben ausgehen.
Es liegt auf der Hand, dass eine sinnvolle Eingliederung nicht stattfindet, wenn den Teilnehmern einer Maßnahme bedeutet wird, sich ihren sonstigen Vorhaben zu widmen, damit sie Vorgaben zur Dauer des Aufenthalts in der Einrichtung einhalten. Eine Maßnahme, die sich darin erschöpft, den Anschein dafür aufrechtzuerhalten, dass Kenntnisse vermittelt werden, ist offensichtlich nicht zumutbar. Sie darf vom Arbeitsuchenden ohne Eintritt von Sanktionen abgebrochen werden. Auf die Frage, ob der Antragsteller einen wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II für den Abbruch der Maßnahme hatte, weil er sich vorrangig um seine selbständige Erwerbstätigkeit kümmern wollte, kommt es deswegen nicht an. Allerdings wäre insoweit durchaus zu berücksichtigen, dass der Antragsteller mit seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit offenbar seit Jahren kein anrechenbares Einkommen erzielt und deshalb ggf. auch die Teilnahme an einer Maßnahme, die Kenntnisse über die Erzielung von Einkünften durch selbstständige Erwerbstätigkeit vermittelt, sachdienlich erscheint.

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