BSG, Urteil vom 30.03.2017 – B 14 AS 13/16 R, Kein Durchschnittseinkommen bei endgültiger Leistungsfestsetzung bei schwankendem Einkommen aus abhängiger Beschäftigung

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Kassel, den 30. März 2017

Terminbericht Nr. 14/17
(zur Terminvorschau Nr. 14/17)

 

Der 14. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 30. März 2017.

 

1)     Die Revisionen der Kläger sind erfolgreich gewesen, die des beklagten Jobcenters ist zurückgewiesen worden. Das Urteil des LSG ist geändert und das des SG bestätigt worden. Die Kläger haben Anspruch auf das begehrte höhere Alg II für die allein streitbefangenen Monate Mai und August 2012. Denn bei der abschließenden Entscheidung aufgrund der damals geltenden Rechtslage nach § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II aF iVm § 328 Abs 2, 3 SGB III ist kein Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen, sondern vielmehr vom Monatsprinzip (vgl § 41 SGB II aF) auszugehen.

Als Rechtsgrundlage für eine Berechnung nach Durchschnittseinkommen kann entgegen der Rechtsauffassung des LSG nicht auf § 2 Abs 3 Satz 1 Alg II‑V in der damaligen Fassung abgestellt werden, denn die Vorschrift regelt nur die vorläufige Entscheidung. Durchgreifende Gründe sie erweiternd auch auf die abschließende Entscheidung anzuwenden, liegen nicht vor. § 2 Abs 3 Satz 1 Alg II‑V aF gilt nach seinem Wortlaut („zu erwarten“) nur für zukünftige Zeiten, und der Verordnungsgeber hätte eine andere Regelung leicht treffen können, zumal er für eine bestimmte Variante der abschließenden Entscheidung eine Regelung in § 2 Abs 3 Satz 3 Alg II‑V aF getroffen hat.

Aus dem zwischenzeitlich durch das 9. SGB II‑ÄndG eingeführten § 41a SGB II mit seinem Abs 4 über ein Durchschnittseinkommen bei der abschließenden Entscheidung folgt nichts anderes, weil der Vorschrift insofern keine Rückwirkung beigemessen wird (vgl § 80 SGB II).

SG Gotha                                   – S 20 AS 59/13 –
Thüringer LSG                            – L 4 AS 1310/15 –
Bundessozialgericht                    – B 14 AS 18/16 R –

2)     Auf die Revision des beklagten Jobcenters ist das Urteil des LSG aufgehoben, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückgewiesen sowie auf die Berufung des Beklagten dieses Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen worden.

Die Revision des Beklagten ist zulässig, obwohl sie erst am 17.10.2016 begründet wurde, weil dem ihm am 26.10.2015 zugestellten Urteil des LSG eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung beigefügt war. Dem Beklagten kommt insofern die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG zugute, selbst wenn sein Verhalten nicht verfahrensförderlich war. Entgegen der Ansicht der Klägerin war es aber noch nicht rechtsmissbräuchlich.

In der Sache schließt sich der Senat dem Urteil des 4. Senats vom 8.12.2016 ‑ B 4 AS 59/15 R ‑ an, nach dem eine solche Schülerversicherung keine Versicherung im Sinne des § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II, § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II‑V ist. Ein Anspruch der Klägerin auf höheres Alg II in der strittigen Zeit scheidet damit aus.

SG Mannheim                             – S 17 AS 1304/13 –
LSG Baden-Württemberg            – L 13 AS 4522/13 –
Bundessozialgericht                    – B 14 AS 55/15 R –

3)     Der Termin ist aufgehoben worden, nachdem das beklagte Jobcenter auf Anregung des Senats ein Anerkenntnis aus verfahrensrechtlichen Gründen abgegeben hatte und dieses von den Klägern angenommen worden war.

SG Düsseldorf                           – S 19 AS 179/11 –
LSG Nordrhein-Westfalen            – L 6 AS 415/14 –
Bundessozialgericht                    – B 14 AS 11/16 R –

4)     Die Revision des beklagten Jobcenters ist zurückgewiesen worden. Die Klägerinnen haben Anspruch auf anteilige Übernahme der im September 2011 fälligen Nebenkosten-Nachforderung für ihre frühere, in 2010 bewohnte Wohnung.

Grundsätzlich sind nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II nur die angemessenen, tatsächlichen Aufwendungen für die aktuell bewohnte Wohnung zu übernehmen, weil nur dies der Sicherung der Unterkunft dient. Nicht bezahlte Aufwendungen für frühere Wohnungen sind Schulden; diese werden nur ausnahmsweise übernommen (§ 22 Abs 8 SGB II). Vorliegend ist jedoch eine Ausnahme zu machen, weil die Klägerinnen durchgehend schon zum Zeitpunkt der tatsächlichen Entstehung der Nachforderung bis zu deren Geltendmachung und Fälligkeit im Leistungsbezug nach dem SGB II standen. Würde die Nachforderung nicht übernommen, würde dies faktisch wie eine Umzugssperre wirken, weil Alg II‑Empfänger bei unzureichenden Nebenkostenvorauszahlungen dem Risiko, Schulden zu machen, ausgesetzt wären. Besteht vor und nach dem Umzug ein Rechtsverhältnis zu demselben Vermieter oder Energielieferanten, können weitere Streitigkeiten bei den Abrechnungen in den Folgejahren auftreten, hinsichtlich deren das Jobcenter die Leistungsberechtigten zu beraten hätte. Zudem mindert eine Nebenkostenerstattung unabhängig von der Frage eines vorangegangenen Umzugs nach § 22 Abs 3 SGB II die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

Auf den Grund für den Umzug kommt es entgegen der Ansicht des Beklagten daher nicht an, zumal vorliegend eine Zusicherung für den Umzug seitens des Beklagten vorlag. Dass die Nachforderung an M ‑ den früheren Lebensgefährten der Klägerin zu 1 ‑ adressiert war, steht der anteiligen Übernahme nicht entgegen, da für Nachforderungen ebenso wie für laufende Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung grundsätzlich vom Kopfteilprinzip auszugehen ist.

SG Neubrandenburg                   – S 11 AS 2821/11-I –
LSG Mecklenburg-Vorpommern   – L 10 AS 461/12 –
Bundessozialgericht                    – B 14 AS 13/16 R -“

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